Umwelt-Neurologie: Warum wir nicht tun, was wir tun sollten
Donnerstag, 22. Mai 2014
19:00 Uhr
Neues Rathaus, Kleiner Sitzungssaal, Marienplatz 8, München
Referent: Prof. Dr. Dr. Gerhard Roth, Universität Bremen, Institut für Hirnforschung
Umwelt-Neurologie: Warum wir nicht tun, was wir tun sollten… und wie man das ändern kann.
Mittlerweile kann man fast jeden Abend in den Nachrichten von den Folgen der Klimaerwärmung erfahren. Alle sind sich einig, dass man dagegen etwas tun sollte; Licht ausschalten, den Müll trennen, öfters mit dem Fahrrad fahren und nicht stundenlang duschen, für wenig Geld ein programmierbares Ventil am Heizkörper installieren, die Stand-by-Schaltungen an PC und Fernseher regelmäßig ausschalten. Wir wissen es, aber wir tun es nicht. Warum?
Prof. Dr. Dr. Gerhard Roth vom Institut für Hirnforschung der Universität Bremen hat auf diese Frage Antworten geliefert.
Präsentation Prof. Dr. Dr. Gerhard Roth: Klicken Sie hier
Blicke ins menschliche Gehirn zeigen, warum Informationen nicht automatisch zu Einsicht führen und Einsicht nicht automatisch zum Handeln. Kognitive Informationsverarbeitung findet auf „Ebenen“ des Gehirns statt, die nicht direkt mit den Ebenen für Gefühle und Persönlichkeit zusammen hängen. „Kopfgesteuertes“ wird nur in Handeln umgesetzt, wenn zu bewußten Motiven auch Emotionen und soziale Eigenschaften eines Menschen angesprochen werden, insbesondere dessen tiefgreifende Persönlichkeitseigenschaften.
Dies geschieht auf den drei getrennten Ebenen des limbischen Systems im menschlichen Gehirn. Die untere limbische Ebene steuert angeborene Reaktionen und Antriebe und ist Grundstein der Persönlichkeitsmerkmale eines jeden Individuums. Die mittlere limbische Ebene macht zusammen mit der unteren den Großteil unserer Persönlichkeit aus. Hier findet die unbewußte Konditionierung statt, es werden emotionale und kommunikative Signale erfasst. In der dritten limbischen Ebene wird die soziale Relevanz relevanter Persönlichkeitsmerkmale festgelegt, Machtstreben, Dominanz, Empathie, Verfolgung von Zielen und Kommunikationsbereitschaft etwa.
Diese drei limbischen Ebenen werden schon im Mutterleib und dann in den ersten Lebensjahren vollständig geprägt. Die genetisch vererbten und früh angelernten Verhaltensmuster sind in späteren Lebensjahren nur noch schwer zu ändern. Die Veränderung der drei limbischen Ebenen, also insgesamt des Verhaltens, ist um so schwerer, je „tiefer“ die Ebene reicht, von je früher die Prägung stammt.
Hinzu kommt eine weitere relevante Ebene, die kognitiv-sprachliche. Sie hat von sich aus keinen Einfluss auf unser Verhalten, sondern immer nur in Verbindung mit den anderen Ebenen. Differenzen zwischen dieser und den anderen Ebenen führen zu Opportunismus, Ausrede, Ausweichen, Lüge etc.
Nun sind vier Möglichkeiten, das Verhalten anderer extern zu steuern, üblich:
- Anordnung und Befehl, Zuführung von Schmerz: Erbringt eine sofortige Wirkung, allerdings nur kurz und nur so lange die Androhung von Sanktionen relevant ist
- Appell an Verstand und Einsicht: Ohne Einsicht keine Maßnahme, aber Vernunft alleine hat keinen Einfluß auf das Verhalten
- Appell an Solidarität: Erbringt momentane Emotionalisierung und Begeisterung; allerdings ist der Effekt meist nur vorübergehend
- Ansprechen individueller Einstellungen und Bedürfnisse: Nur Belohnung und Belohnungserwartung haben beim Menschen nachhaltige Verhaltensänderung zur Folge
Dabei werden drei Arten von Belohnung unterschieden:
- materielle Belohnung (Geld, Prämien, Boni); wirkt am schnellsten, verliert ihre Wirkung aber auch am schnellsten, muss deshalb stets erhöht werden (mit abnehmendem Nutzen)
- soziale Belohnung (Auszeichnung, Zugehörigkeit); wirkt langanhaltender als die materielle Belohnung, ist vielfach erforderlich
- intrinsische Belohnung (Selbstbestätigung, befriedigendes Handeln aus Überzeugung); erschöpft sich nicht in ihrer Wirkung; die einzige dauerhaft wirkende Kraft zur Verhaltensänderung.
Das heißt: Informationen, auch wenn sie scheinbar klar sind, führen nur dann zu menschlicher Verhaltensänderung, wenn sie sowohl kognitiv als auch emotional zu den bisherigen individuellen und sozialen Lebenserfahrungen eines Menschen passen. Einsicht mündet nur dann in verändertes Handeln, wenn sie mit der bewußten, intuitiven und der unbewußten Persönlichkeit und den dazu gehörenden Motiven und Zielen eines Menschen übereinstimmt.
Und: Verhaltensänderungen benötigen Zeit, ein „Ruhenlassen“ von Informationen und Argumenten, ein Einsickern in Emotion und Unterbewußtes. Neue Rituale sind erforderlich, Einüben anderen Tuns.
Was heißt das für die Energiewende? Wichtig wären:
- Information und Appell (Energiesparen!) müssen einfach, klar und widerspruchsfrei sein – von Merkel über Seehofer bis energiesparender, statt Cayenne-fahrender Nachbar
- Einzug in den Alltag und die Denkweisen der Bürger sind erforderlich; die Menschen müssen erkennen können, dass es sich um sie persönlich handelt, nicht um „die Anderen“ („man müsste mal…“). Das Produkt Energiesparen muss „sexy“ werden.
- Konkrete Anleitung zum Handeln, kleine Schritte sind gefragt, zwischen Nah- und Fernzielen ist zu unterscheiden (gesellschaftliche Änderungen wie das Projekt Energiewende benötigen >20 Jahre!). Intrinsische Belohnungsmechanismen sollten gefördert werden, beginnend im Kindergarten, stolz und zufrieden zu sein, sich so zu verhalten, dass es unseren Enkeln und der globalen Umwelt nicht schadet.