Energiewende und Netzausbau:
Erste Skizze zum Nationalen Netzentwicklungsplan signalisiert: Kein Grund zur Aufregung!
Kommentar von Dr. Helmut Paschlau
Seit 29.05.2012 sind die ersten Details der Skizze der vier deutschen Netzbetreiber zum Nationalen Netzausbauplan bekannt. Eine Premiere mit wichtigen Neuigkeiten – aber noch lange nicht der Endstand.
Je 11.000km Übertragungsnetz betreiben 50 Hertz (Ostdeutschland), TenneT (von Nordsee bis Bayern) und Amprion (NRW), Transnet (Baden-Württemberg) etwa 3.200km. Die vier deutschen Netzbetreiber (nicht Energieversorger) sind wichtige Player im großen Gerangel um den Transport großer Strommengen Erneuerbarer Energien von der Erzeugung zur Nutzung; dazu kommen die Bundesregierung, die Bundesländer, Kommunen, Wirtschafts- und Umweltverbände, sowie Behörden (u.a. Bundesnetzagentur) und andere Organisationen, soweit sie in die Erarbeitung des Nationalen Netzentwicklungsplanes offiziell eingebunden sind. Und natürlich eine Vielzahl von (Öko-) Stromanbietern, Lobbygruppen, Bürgerinitiativen usw., die ihre Interessen einbringen.
Bis Ende 2022 müssen Kapazitäten für den Transport von etwa 10 Gigawatt (= 10.000.000.000 Watt) Strom geschaffen werden. Das entspricht einer Erzeugung mittels zwölf großen Kohlekraftwerken (die deshalb im Süden Deutschlands nicht gebaut werden müssen).
Die Netzbetreiber müssen die Investitionen zum Ausbau des überregionalen Stromübertragungsnetzes realisieren und finanziell tragen. Nach ihren Vorstellungen sollen vier völlig neue Hauptstränge von Norden nach Süden verlaufen, insgesamt 2.100km; bislang sind nur „Korridore“ gezeichnet. Und zwar – Neuigkeit eins – non-stop jeweils vom nördlichen Einspeisepunkt zum südlichen Übergabepunkt, z.B. von Emden nach Philippsburg; in der Regel zum Standort eines (abzuschaltenden) Atomkraftwerks, die dort vorhandenen Verteil- und Versorgungsnetze sollen also – Neuigkeit zwei – weiter genutzt werden. Im Gegensatz zu den bisherigen überregionalen Übertragungsnetzen in Wechselstrom-Technik sollen die neuen „ICE-Sprinter“ – Neuigkeit drei – in Gleichstromtechnik ausgeführt werden; die Gleichstrom-Wechselstrom-Umwandlung ist sehr aufwändig (deshalb non-stop), Gleichstrom aber minimiert die Widerstands-Leitungsverluste (und ermöglicht technisch übrigens auch eine Unterwasser- oder Erdverlegung).
Zusätzlich zu weiteren rd. 1.500km neuen Gleichstrom-Verbindungskabeln stehen aber auch erhebliche Investitionen im vorhandenen Übertragungsnetz mit 220 bzw. 380kV-Wechselstrom an: Rund 5.000km müssen ertüchtigt, um neue Leitungen auf höheren Masten erweitert werden; 1.700km Freileitungen müssen neu errichtet werden, neben den 1.800km, die bereits in Planung und teils in Realisierung sind (seit 2009 nur 214km).
Sollte sich aber herausstellen, dass sich die Energiewende in Deutschland „dezentraler“ als bislang angenommen gestaltet wird und – was sich schon deutlich abzeichnet – Bundesländer, Kommunen, Stadtwerke, Energiegenossenschaften und Bürger eigene Energievorstellungen umsetzen, im Süden regional-dezentral erzeugte Erneuerbaren Energien also deutlich zunehmen, dann könnte auf Teile großer Übertragungsnetze verzichtet oder diese kleiner dimensioniert werden.
Hauptproblem: Die langen Planungs-, Genehmigungs- und Gerichtsverfahren. Erst in den Planfeststellungsverfahren werden genaue Trassenverläufe und Verlegungstechniken (Leitungen, Erdkabel) beantragt werden. Doch die Netzbetreiber haben (z.B. aus Stuttgart21) gelernt und – Neuigkeit vier – mit der Information der Öffentlichkeit, der Wirtschafts- und Umweltverbände und der Einschaltung örtlich Betroffener bereits begonnen; unerlässlich seien Transparenz und Akzeptanz. Jeder Bürger kann sich via internet an der Debatte beteiligen: www.netzentwicklungsplan.de .
Und die Kosten? Mit rd. 20 Milliarden Euro Investitionen – ohne teure Erdverkabelung – rechnen die Netzbetreiber, zu verbauen in den nächsten zehn Jahren. Unterstellt, diese würden wie bisher allein durch die Strom-Haushaltskunden und nicht auch die Industrie zu tragen sein, dann sind das ab 2022 rd. 0,5Cent pro Kilowattstunde; für einen durchschnittlichen Vier-Personen-Haushalt also um die 15 Euro pro Jahr. Das hat der Bundesverband Erneuerbare Energien (BEE) errechnet. Da kann man den Aufschrei interessierter Kreise über die „gigantischen Kosten“ getrost abheften.