Die EU-Agrar- und -Fischereipolitik als Fluchtursache
in Kooperation mit SlowFood Deutschland e.V.
aus der Veranstaltungsreihe „Werteorientierte Marktwirtschaft“ und „Ökologische Landwirtschaft und Ernährung“
Dienstag, 20. Juni 2017
20.6.17 war Welt-Flüchtlingstag: 65,6 Mio. Menschen auf der Erde flüchten, meldete das UN-Flüchtlingswerk UNHCR. 2/3 davon innerhalb der Grenzen „ihres“ Staates, etwa 20 Mio. Flüchtende überschreiten Landesgrenzen; nur ein geringer Anteil kommt nach Europa. „Afrika sitzt auf gepackten Koffern“ – stimmt nicht. Dennoch behauptet der Bundesminister für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit, Gerd Müller, 2017 sei mit 300.000 bis 400.000 afrikanischen Bootsflüchtlingen zu rechnen, die in Italien ankommen.
Was treibt Menschen dazu, die lebensgefährliche Fahrt über das Mittelmeer zu wagen? Neben der Hoffnung, Bürgerkrieg oder despotischen Regimen zu entkommen, sind es nicht selten auch wirtschaftliche Gründe, z.B. hervorgerufen durch den Klimawandel (wir berichteten: Klicken Sie hier ). Wer ohne Perspektive ist, sich in der Heimat ein Leben aufzubauen, sucht eben nach einer neuen Heimat.
Gerade weil wir gern ein bisschen die Nase rümpfen über die sogenannten „Wirtschaftsflüchtlinge“, lohnt sich ein Blick darauf, wie die EU, also wir, unseren Teil dazu beitragen, Afrikanern in ihrer Heimat die Existenzgrundlage zu entziehen.
Eingeladen war Francisco Marí, Referent für Welthandel, Agrarhandel und Meerespolitik bei Brot für die Welt – Evangelischer Entwicklungsdienst. Ein Voll-Profi, seit 15 Jahren in der Entwicklungs- und Flüchtlingsarbeit tätig, sieben Jahre Kamerun, teilweise beteiligt an internationalen Verhandlungen zwischen EU und afrikanischen Ländern. Sein Vortrag zeugte von praktischen Erfahrungen und Herzblut.
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Sowohl die Agrar- als auch die Fischereipolitik der EU haben zur Folge, dass afrikanische Märkte geschwächt werden – zum eigenen Vorteil der EU-Mitgliedsländer versteht sich. Beispiel Hühnerfleisch: Nicht nur Hähnchenteile, die bei uns nicht gern gegessen werden wie Beine und Füße landen in Afrika, sondern auch ganze verarbeitete und tiefgefrorene Hühnchen. Es gibt in Ghana praktisch keine Geflügelproduktion mehr, die Züchter sind pleite gegangen. Weil EU-Bauern dafür subventioniert werden, dass sie möglichst viel (und nicht auf Qualität ausgerichtet) Geflügel produzieren – mit den hiesigen Umweltbelastungen wie dem Aufkommen von Gülle, die auf unsere Felder ausgebracht wird und unser Trinkwasser belastet. So kommt es, dass EU-Hühnchen billiger sind als ghanaische; auch weil die EU dort keine oder nur geringe Einfuhrzölle bezahlen muss. Das ermöglichen Wirtschaftsabkommen – sog. „Freihandelsverträge“ –, die den afrikanischen Ländern auferlegen, ihre Märkte für EU-Importe zu öffnen und ihre Zölle nach und nach abzuschaffen – unter dem Deckmäntelchen, nur ein freier Markt würde Afrika wettbewerbsfähig machen.
Oder die Milchwirtschaft in Kamerun: Einerseits finanziert und baut die EU eine funkelnagelneue Molkerei vom Feinsten, um den Viehbauern, die ursprünglich auf Fleischwirtschaft konzentriert sind, nun auch Perspektiven in der Milchwirtschaft zu eröffnen. Gleichzeitig exportiert die EU hoch-subventioniertes EU-Milchpulver nach Kamerun zu Preisen, die die Kosten der örtlichen Milchproduktion niemals decken kann.
Auch in der Fischereipolitik tut die EU so, als täte sie den afrikanischen Staaten noch einen Gefallen, wenn sie deren Gewässer leer fischt. Immerhin landen etwa 80 Prozent des vor den Küsten Afrikas gefangenen Fischs auf dortigen Märkten – allerdings ebenfalls zu Dumpingpreisen, die die lokalen Fischer ruinieren. Verarbeitet wird der dort angelandeter Fisch oftmals zu Fischmehl, das als Futter für Zuchtfisch in (europäischen oder asiatischen) Aqua-Kulturen landet; subventioniert durch die EU.
Als Kenia etwa zögerte, ein solches Freihandels-Abkommen zu schließen, wurden kurzfristig die Zölle auf deren Exportprodukte in die EU wie Kaffee, Schnittblumen etc. drastisch angehoben. Mit dem gewünschten Ergebnis.
Es müssen endlich faire Handelsbeziehungen geschaffen werden, die allen Beteiligten ihr wirtschaftliches Auskommen und damit eine Existenz im eigenen Heimatland sichern. Die EU-Kommission weiß um diese Zusammenhänge, negiert sie aber oder behauptet, „Afrika ist halt noch nicht soweit“; wichtiger: Die Vorgabe an die EU-Kommission, auch mit afrikanischen Ländern Freihandelsabkommen abzuschließen, stammt vom EU-Rat – also den Regierungen der EU-Mitgliedstaaten – von vor 15 Jahren; seither werden solche Verträge halt abgeschlossen, ohne die Folgen zu beachten. Nun soll mit europäischen und deutschen Entwicklungshilfe-Geldern (!!) militärische Kräfte aufgestellt und ausgebildet werden mit dem Ziel, Menschen nicht über die Grenzen der afrikanischen Länder flüchten zu lassen.
Bei der Bundesregierung also ist anzusetzen. Z.B. bei den nächsten Wahlen.