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22. März 2018

Energiewende: Die soziale Frage

Donnerstag, 22. März 2018

Referenten_Innen:
Heidemarie Krause-Böhm, Verbraucherzentrale Bayern, Leiterin Referat Energie, Umwelt, Nachhaltigkeit
Martin Janke, Stadtwerke München, Zentrale Angelegenheiten,
Claudia Mammach und Thomas Keimerl, Soziale Dienste/Stromspar-Check, Caritas München


„Nicht bezahlt, zack ist der Strom weg“, titelte kürzlich eine Boulevard-Zeitung: 2016 geschah das deutschlandweit rd. 330 000 Haushalten (9%), bei rd. 6,6 Mio. Sperr-Androhungen gegen säumige Zahler. Seit Jahren unverändert leben also hunderttausende Menschen im reichen Deutschland – auch dauerhaft – ohne elektrisches Licht, ohne Kühlschrank, vielfach ohne warmes Wasser.
„Die Reichen am Starnberger See verdienen sich eine goldene Nase mit ihrer PV-Anlage und wir Ärmeren zahlen bei der Energiewende doppelt und dreifach“, „Ich kann mir keinen neuen, stromsparenden Kühlschrank leisten“ – vielfach zu hören, auch in Veranstaltungen der Umwelt-Akademie.

88% der Deutschen befürworteten 2017 die Energiewende, 80% halten Energiesparen für sinnvoll; 88% wünschen sich bei einer energetischen Gebäudesanierung zumutbare Begrenzungen der Mieterhöhung; und über 65% sind der Meinung, dass die „kleinen Leute“ die Kosten der Energiewende tragen, während Unternehmen profitieren.

Im Jahr 2000 wurde die Umlage nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) eingeführt. Seither haben sich die Strompreise hierzulande verdoppelt, auf derzeit durchschnittlich 85 Euro pro Haushalt im Monat. Die Stromkosten belasten Ärmere – relativ zu ihrem Einkommen – stärker als Besserverdiener, hat das Rheinisch-Westfälische Institut (RWI) 2017 festgestellt: Das untere Einkommensdrittel trägt rd. 30% der gesamten Kosten der EEG-Umlage, während das obere Einkommensdrittel – bei weit höheren Haushaltseinkommen – ebenfalls (nur) 30% der Kosten trägt.
Im Bundesschnitt bezahlen Haushalte 28 Cent pro kWh, Wirtschaftsunternehmen nur 4 Cent.

Was tun? Ist die Streichung der 19%-Umsatzsteuer auf die EEG-Umlage als Lösung sinnvoll? Soll die Rate der Mieterhöhung nach Gebäudesanierung pro Jahr von 11% auf  8 oder 6% der entstandenen Kosten für die betroffenen Mieter gesenkt und ihre Abwälzung auf wenige Jahre befristet werden? Kommt eine „neue Ökosteuer“ mit einer gezielten sozialen Komponente, die untere Einkommensschichten entlastet und z.B. den Zugang zu energieeffizienten Geräten ermöglicht? Oder statt der bisherigen Stromsteuer ein Preis für CO2-Emissionen zu Lasten nicht der Haushalte der (industriellen) Emittenten? Die Streichung der milliarden-schweren Ausnahmen bei der EEG-Umlage für energieverbrauchende Industrien durch den Bundeshaushalt zugunsten von Privatkunden und Mittelstand?

Genügt die Absenkung der EEG-Umlage um 3€ pro Haushalt (!) im Jahr 2018 (mit wieder steigender Tendenz ab 2019)? Senken die Wärme- und Stromversorger inkl. der Unternehmen in öffentlicher Hand ihre Preise für ärmere Haushalte mit einem „Sozialtarif“? Hilft wenigstens das Sozialamt bei steigenden Energiepreisen? Und genügt die Energiespar-Beratung von Sozialverbänden, ggfs. mit einem Gutschein für einen energiesparenden Kühlschrank oder einem „Sparfuchs-Beitrag“ für energiearme Mobilität?

Oder sind steigende Energiepreise gar „gut für Klima und Ökologie“, weil hohe Energiekosten „Anreize zum Energiesparen“ sind?
Auch wenn wenig im neuen Koalitionsvertrag steht, es dämmert den politisch Verantwortlichen: Mit Klima- und Energiepolitik (allein) ist Sozialpolitik natürlich nicht zu machen. Aber ohne sozialer Abfederung – bei galoppierenden Energiepreisen, sanierungsbedingt steigenden Mieten und wohlfeilen Appellen zum Energiesparen – sind Klimaanpassung und Energiewende nicht erreichbar; und auch ohne sozial-abgefederte Strukturpolitik – z.B. beim Abschalten von Kohlekraftwerken – wird eine breite gesellschaftliche Zustimmung zum Klimaschutz nicht zu erreichen sein. Da lässt die Berufung der neuen Bundes-Umweltministerin am 09. März 2018 aufhorchen: Senja Schulze (SPD) ist langjähriges Mitglied in der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE).

Martin Janke, Stadtwerke München (SWM), Zentrale Angelegenheiten, beschrieb die Situation aus Sicht des örtlichen Hauptversorgers; einem kommunalen Unternehmen im „Eigentum“ aller Münchner BürgerInnen also, das sich leisten kann und politisch dazu aufgerufen ist, sozial zu handeln, und auch, aber nicht nur, auf Rendite zu schielen. Seine Kern-Botschaften: Trotz hoch angespannter Situation am Wohnungsmarkt und bei den örtlichen Preisen in München ist wegen des höheren Einkommensniveaus die Zahl schwächerer Haushalte, die ihre Stromrechnungen nicht bezahlen können, geringer als im Bundesdurchschnitt; die SWM bemühten sich, z.B. in Absprache mit den Sozialträgern, bei Zahlungsverzug im Einzelfall um Kulanz- und Aufschub-Regelungen; überdies müsse man öffentlich nicht nur über Strom, sondern verstärkt auch über Wärme und sonstige Energiekosten – sowie natürlich über die Problematik der Erderwärmung durch CO2 insgesamt – diskutieren. Den Vortrag von Herrn Janke finden Sie hier.

Heidemarie Krause-Böhm, Verbraucherzentrale Bayern, Leiterin Referat Energie, Umwelt, Nachhaltigkeit, beschrieb die Situation „abgeschalteter“ Strombezieher in München ebenfalls als unterdurchschnittlich. Ihre Organisation auf Bundesebene, der Bundesverband der Verbraucherzentralen, melde sich im politischen Berlin durchaus sehr kräftig, u.a. um politisch verursachte soziale Schieflagen bei der Energiewende zu beenden: Die Begrenzung der Kostenabwälzung bei Gebäude-Wärmedämmung von derzeit 11% auf die Mieter auf maximal 6% (Koalitionsvertrag: 8%) und deren zeitliche Begrenzung auf wenige Jahre; die Beendigung der „Energiesteuer“ in der EEG-Umlage stark zulasten ärmerer Haushalte; die Verteilung der EEG-Kosten zwischen Haushalten und Unternehmen usw. den Link zu Heidemarie Krause-Böhm Vortrag finden Sie hier.
    
Claudia Mammach und Thomas Keimerl, Soziale Dienste/Stromspar-Check, Caritas München, schilderten detailliert ihre Beratungs-Arbeit im Rahmen von Projekten wie dem „Stromspar-Check“ bei Haushalten mit geringerem Einkommen: den Link zur Präsentation von Claudia Mammach und Thomas Keimerl finden Sie hier.
Da geht nicht einfach jemand mal für 10 Minuten hin – vielmehr wird je Haushalt eine umfangreiche Bestandsaufnahme gemacht (in kWh und €-Einsparmöglichkeit), erste technische Hilfen (Stromstecker-Leisten, LED-Leuchten, Duschperlator…) sofort installiert, mehrere Tage der Strom großer Verbrauchergeräte gemessen, ein Gutschein für einen neuen stromärmeren Kühlschrank übergeben, das Energie- und Konsumverhalten des Haushalts betrachtet und entsprechende Empfehlungen gegeben usw.; und das auch mehrfach je Haushalt.

Kern-Probleme: Die Fördermittel seitens Bundes- und Landesstellen sind zu gering; es finden sich zu wenige Haushalte zu intensiver Beratung bereit; Konsumverhalten zu ändern ist – auch bei Mittelklasse-Haushalten (!) – nicht leicht… Sehr vorteilhaft: Meist gehen hochmotivierte, zwischenzeitlich gut ausgebildete, ehemalige Langzeitarbeitslose als Energieberater in die Klientel-Haushalte; das erleichtert die Verständigung und stärkt deren Situation.

Eine kleine, aber feine Veranstaltung der Umwelt-Akademie. Die Präsentationen zu lesen lohnt!

Dr. Helmut Paschlau, Vorstand   



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