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20. Dezember 2012

Energiewende ist dezentral!

Donnerstag, 21. Februar 2013, Neues Rathaus, Großer Sitzungssaal

Referenten:

  • Hermann Kerler, Bundesverband der Regionalbewegung e.V., Vorstand
    „Energiewende ist regional!“
  • Gunnar Braun, Landesgruppe Verband Kommunaler Unternehmen Bayern, Geschäftsführer
    „Energie + Klima: Renaissance der Stadtwerke“

In den 1980er Jahren gab es in Deutschland etwa 850 Stromerzeuger, im Jahr 2020 sollen es über 1 Mio. sein; letzte Meldungen besagen, dass die erste Miollion bereits überschritten sei. Das sind Herr und Frau Mustermann (Photovoltaik auf dem Dach, Blockheizwerk im Keller), das sind Vereine, Energiegenossenschaften, Bürger-Stiftungen für Energie, Städte und Landkreise, kommunale Gemeinde- und Stadtwerke. Kaum noch „von oben“ planbar, weil längst in Bürgerhand. Durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) wurden Marktkräfte freigesetzt, die erkannt haben, dass es sich – auch finanziell – lohnt, Energie selbst zu erzeugen, aktiv die Energiewende zu gestalten.
Das hat Konsequenzen: Zum einen ist die Energiewende nicht mehr rück-abwickelbar: >50% aller EE-Anlagen (und deren installierter Leistung) sind in Bürger-/Landwirte-Hand, 39% liegen bei Projektierern, kleineren EVUs (inkl. Stadtwerken) und Fonds/Banken (deren Fonds wir Bürger als Geldanlage kaufen); nur 7% haben die großen vier Versorger errichtet. Über 600 Bürger-Energiegenossenschaften sind am Markt; in Bayern >150, mit >13.000 (engagierten) Mitgliedern (zusammen 430 Mio. € Umsatz!).

Zum anderen muss die gesamte Energie-Infrastruktur Deutschlands, ja Europas, neu gedacht und umgebaut werden: Waren sie bislang auf die wenigen Großkraftwerk-Standorte (Atom und Kohle) konzentriert, müssen die Stromnetze künftig völlig anders gedacht werden. Zwar wird es riesige Nord-Süd-Übertragungstrassen geben müssen, aber weit weniger; und viel mehr wird in regionale Speicher und Verteil-Netze zu investieren sein. 40% der Primärenergie geht in die häusliche Wärme. Da ist mit „zentral“ ohnehin nichts zu holen; Geothermie-Wärme, Wasserkraft, Fernwärme in Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen (KWK) sind immer „dezentral“. Manche Kommune, die in Liberalisierungs-Zeiten ihre bürgereigenen Stadtwerke verkauft haben, wollen sie zurück oder schaffen neue – und kaufen die ehemals verscherbelten Stromnetze vom Groß-Versorger zurück. Renaissance der Gemeinde- und Stadtwerke?

Kerler betonte die Motive für und die Vorteile von regionalem (Energie-) Wirtschaften: Die Menschen wollen vor Ort eigenverantwortlich handeln, gemeinsam gestalten, man kennt und vertraut sich; ökologisch verantwortbares Wirtschaften wird angestrebt – im Gegensatz zum Ohnmacht-Gefühl gegenüber Großunternehmen und Lobby-Gruppen. Die Vorteile liegen in der hohen Akzeptanz, der Selbstbestimmung in überschaubaren Einheiten; dem Verbleib der Wertschöpfung in der Region statt des hohen Geld-Abflusses an Energie-Lieferanten-Drittländer; dem Schaffen örtlicher Arbeitsplätze; der finanziellen Stärkung der Kommune (Steuereinnahmen) und – nicht zuletzt – dem finanziellen Vorteil der Beteiligten am wirtschaftlichen Erfolg „ihrer“ Erneuerbaren-Energien-Projekte.
Sehr oft werde die Genossenschaft (e.G.) als Rechtsform genutzt: Weil deren Unternehmensziel ausschließlich die Förderung der Mitglieder (nicht des Gewinns anonymer Aktionäre) ist; weil es eine demokratische Beteiligungsform ist: Nicht „Geld“ (die Höhe des eingelegten Kapitals), sondern „Kopf“ zählt (je Mitglied eine Stimme); weil es eine in der Region verankerte Selbstverwaltungsorganisation Freiwilliger ist.


Kerler zeigte einige doch sehr eindrucksvolle Beispiele aus dem Unterallgäu, bei denen er sich persönlich engagiert (es hätte auch jede andere Region sein können, wie er betont):

  • „Dorfenergie eG“, Eppishausen (1.840 Einwohner): Photovoltaik-Anlagen auf Bauhof, Festhalle, Vereinshaus und Schule sowie „Projekt Hausmüll-Deponie“: PV-Anlage auf stillgelegter Hausmülldeponie
  • „Raiffeisen-SolarFonds“ (Raiffeisenbank Pfaffenhausen eG): PV-Anlagen auf zehn öffentlichen Einrichtungen und Gebäuden der Bank
  • „Bauen&Sanieren“, Gemeinschaftsprojekt von ProNah e.V., Landkreis, Kreishandwerkerschaft und Banken: Mobilisierung von Investitionen im Bereich energieoptimierter Altbausanierung (Informationen, Broschüre, Veranstaltungen, Messe)
  • „Klimaschutzprogramm Unterallgäu“, Projekt von ProNah e.V. und diversen Kooperationspartnern: Information der regionalen Multiplikatoren und Mandatsträger, Bewusstsein schaffen, Eigeninitiative wecken; Erstellung eines Klimaschutz-Konzepts für den LK Unterallgäu
  • „Projektentwicklungsgesellschaft Wind Unterallgäu“; auf Initiative von ProNah e.V.: Sicherung von Windkraftanlagen-Standorten im Rahmen der Festschreibung von WK-Vorranggebieten durch den Regionalplanungsverbands Donau-Iller (Verhinderung von nicht regional verankerten, anonymen Investoren)

Kerler’s Fazit: Noch bestehe erheblicher Handlungsbedarf bei Energieeinsparung und -effizienz. Aber die Energiewende sei eine Chance für den ländlichen Raum und die Menschen vor Ort. Die Politik sei gut beraten, die Bürger weiterhin mitzunehmen, dezentrale Strukturen zu fördern und die Rahmenbedingungen für die Energiewende nicht zu verschlechtern.

Präsentation Hermann Kerler: Klicken Sie hier

Das Pendant schilderte Braun für den VKU Bayerns, Verband der örtlichen Gemeinde- und Stadtwerke in kommunalem Eigentum. Die rd. 200 kommunalen Unternehmen in Bayern erwirtschaften derzeit mit 10.000 Mitarbeitern einen Umsatz von >10 Mrd. €; sie liefern den Haushalten und Betrieben >50% des Stroms, >70% des Gases und rd. 60% der Wärme.
Braun betonte: Die Energiewende bedeutet einen erheblichen Strukturwandel in Deutschland – insbesondere auch für die Gemeinde- und Stadtwerke. War früher – gegenüber eines zentralen AKWs – etwa eine Gas-und Dampf-Turbinen-Anlage (GuD) im KW Süd in München bereits eine „dezentrale“ (Strom- und Fern-Wärme-) Anlage, so sind „dezentral“ heute unabhängig zu betreibende Klein-/Mikrokraftwerke für Kraft und Nah-Wärme wie etwa am Ackermannbogen oder eine kleine Photovoltaik-Anlage für Strom und Haus-Wärme auf dem Dach eines EFH z.B. in Menzing.  
Bei stagnierendem Primärenergiebedarf-„Kuchen“ bedeuten Energiesparen durch den Kunden plud steigende Energieeffizienz plus Energieeigennutzung durch Verbraucher plus mehr Energieerzeuger erneuerbarer Energie nichts anderes als Umsatzverluste auch für die Stadtwerke, zumindest im Erzeugungsbereich; bei gleichzeitig deutlich steigenden Aufgaben im Bereich örtlicher Verteilung und der Netz-Stabilisierung. Diese verglich Braun mit einer gefüllten Badewanne: Bislang wurde sie durch „externe Wasserhähne“ zentraler atomarer/fossiler Stromlieferung befüllt; der durch die Gemeinde-/Stadtwerke gesteuerte Auslauf bediente den Strombedarf der Kunden. Künftig dagegen werde die Wanne durch zentrale Stromlieferung aus fossilen und erneuerbaren Quellen (z.B. öffshore-Wind) gefüllt; im Auslauf – über das örtliche Verteilnetz – würden zusätzlich eine Vielzahl an Stromlieferungen aus dezentralen EE-Quellen einspeisen. Was zwar zu höherer Redundanz und damit höherer Ausfallsicherheit führt, aber auch zu Netzengpässen im Verteilnetz und der regionalen Speicherung; denn dafür sind diese nicht ausgelegt.   

Doch die neue Aufgabenverteilung zwischen privater, lokaler EE-Erzeugung einerseits und Netzstabilisierung und Energievorhaltung durch die kommunalen Gemeinde-/Stadtwerke andererseits spiegelten die derzeitigen Vergütungstarife zu wenig wider: Wer z.B. mit seiner eigenen Photovoltaik-Anlage auf dem Dach zuvörderst seinen Eigenbedarf deckt, der muss künftig – so Kerler – deutlich mehr für Bereitstellung und Nutzung örtlicher Verteil-Netze und Energievorhaltung bezahlen müssen, immer dann, wenn er auf Außenbelieferung angewiesen ist (z.B. bei wenig Sonne oder Wartung der PV-Anlage).

Seine Kernaussagen: Die realen Differenzkosten zwischen bisherig fossiler zu zukünftig regenerativer Versorgung zeigen sich nicht an den heutigen Strompreisen, sondern an den langfristigen Systemkosten!
Und: Für die Sicherung des ganzheitlichen Stromsystems bedarf es mehr als der dezentralen EE-Stromerzeugung; es bedarf überörtlicher Mentoren zur Lösung lokaler Konflikte und zur Koordination von Ausbau von Erneuerbaren Energien, KWK-Anlagen, Netzen und Speichern. Dazu bieten sich die in kommunaler Hand befindlichen Gemeinde- und Stadtwerke als künftige „Prozessverantwortliche“ an.

Präsentation Gunnar Braun: Klicken Sie hier

Just um diesen Fokus drehten sich die Fragen und Redebeiträge der 63 TeilnehmerInnen in der Diskussion: Wie können konkurrierende dezentrale EE-Erzeuger und Verteil-Netz-Betreiber als Systemverantwortliche miteinander kooperieren, ohne dass deren jeweilige Verantwortung verwischt wird? Wie können Erzeugung und dezentrale Speicherung im Verteilnetz – technisch, organisatorisch, betriebswirtschaftlich – verzahnt werden? Wie werden angesichts zunehmender dezentraler Energieerzeugung und individueller Energieeigennutzung künftig die Strom-Tarife aussehen müssen – weg vom Arbeits- hin zum Bereitstellungspreis? Was wird eigentlich mit dem dann umgebauten Stromerzeugungs- und -verteilungssystem, wenn in zwanzig Jahren die Förderung der Erzeugung erneuerbarer Energie aus dem EEG, dem Erneuerbaren-Energien-Gesetz, wie vorgesehen wegfällt?
Viele dieser Fragen blieben offen, mussten offen bleiben: Die Energiewende ist eine Generationenaufgabe, auf die es schnelle Antworten vielfach noch nicht gibt.



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