Energie in Bürgerhand
Diskussionsforum aus der Veranstaltungsreihe „Mutbürger für Energiewende!“
gefördert durch IKEA-Stiftung, Deutsche Bundesstiftung Umwelt, Selbach-Umwelt-Stiftung, Manfred-Wierichs-Stiftung
in Kooperation mit Landeshauptstadt München, Referat für Gesundheit und Umwelt
Donnerstag 19. April 2012, 19:00 Uhr, Stadtmuseum, Sitzungssaal
Referenten:
- Bernhard Maron, Klaus-Novy-Institut (kni), Köln, Geschäftsführer:
„Wem gehören die Erneuerbare-Energien-Anlagen?“ - Gerd Mulert, Energie-Genossenschaft Fünfseenland eG, Starnberg, Vorstandsvorsitzender:
„Einigkeit im Landkreis: Bis 2035 energieautark mit regionalen und erneuerbaren Energien!“ - Ingo Martin, Bürgerstiftung Energiewende Oberland, Vorstand:
„Zukunft stiften! Für Erneuerbare Energien und Energiesparen“
„Noch jeden, den ich fragte, wie viel Prozent der Anlagen der Erneuerbaren Energien in Privathand sind, wie viele im Eigentum der großen vier Versorger – noch jeder lag falsch“, so Dr. Helmut Paschlau, Vorstandsmitglied Die Umwelt-Akademie e.V. zur Begrüßung: „Bei der Energiewende denken viele an Erneuerbare Energien. Immer mehr denken aber auch an „Erneuerbare Energien in Bürger-Hand“, Private, Landwirte, Genossenschaften, Stiftungen. Beispielsweise gab es 2009 327 Bürger-Energiegenossenschaft, 2011 waren es bereits 620. Wir sind also nicht am Anfang der Energiewende, sondern mitten drin“.
Einführung Dr. Helmut Paschlau: Klicken Sie hier
Bei der siebten Veranstaltung der Veranstaltungsreihe „Mutbürger für Energiewende!“ ging es also im Kern um die Frage, wer eigentlich die Energieerzeugung aus Erneuerbaren Energien vorantreibt.
Zunächst schilderte Bernhard Maron vom Klaus-Novy-Institut (kni), Köln, die wesentlichsten Ergebnisse seines Forschungsprojekts im Auftrag des Bundesumweltministeriums: „Wem gehören die Erneuerbare-Energien-Anlagen?“. Bezogen auf die installierte Leistung waren 2009/2010 rd. 40% der Erneuerbare-Energien-Anlagen (ohne Pumpspeicherwerke) im Eigentum von Privatpersonen; weitere rd. 9-10% hielten Landwirte, Projektierer (wie z.B. die Münchner Green City Energy AG) 14-15%. Die „Großen Vier“ (E.ON, RWE, Vattenfall, EnBW) dagegen hatten nur 6,5-7,5% der installierten Leistung Erneuerbarer Energien-Anlagen in ihrem Eigentum. Das schwankt naturgemäß stark je nach Typ einer EE-Anlage: Bei Biogasanlagen sind Landwirte mit 82% Spitzenreiter, bei Photovoltaik-Anlagen und onshore-Windkraftanlagen sind es Privatpersonen mit 42% bzw. 70%, bei der Wasserkraft sind es kleinere Energieversorgungsunternehmen mit 56%. Bezogen auf die umgewandelte Energiemenge in kWh pro Jahr sind die „Mehrheitsverhältnisse“ naturgemäß anders.
Schaut man sich die Eigentumsformen der Eigentümerschaften an, ergibt sich folgendes Bild: Bei Biogasanlagen etwa überwiegen die Gesellschaft bürgerlichen Rechts (BbR), 35%, gefolgt von der GmbH & Co KG, 30%, gefolgt von der GmbH, 16%, – stark abhängig also von individuellen Präferenzen der Landwirte, Sicherheitsüberlegungen und steuerlicher Optimierung. Doch die Rechtsform der Bürger-Energie-Genossenschaften nahm in jüngerer Zeit bezüglich von Anlagen Erneuerbarer Energien deutlich zu; der Referent bestätigte aus Urquellen (= gerichtliche Eintragungen) 585 Energie-Genossenschaften. Insbesondere in den fünf neuen Bundesländern; in den alten ist Bayern Spitzenreiter, NRW ist Schlusslicht.
Präsentation Bernhard Maron: Klicken Sie hier
Gerd Mulert, (ehrenamtlicher) Vorstandsvorsitzender der Energiegenossenschaft Fünfseenland e.G. (EGF), also Raum Starnberg, betonte in seinem Vortrag „Bis 2035 energieautark mit regionalen und erneuerbaren Energien“ den regionalen Aspekt: Die 100% Energieverbrauch von 4.000 GWh – 12% Strom, 33% Verkehr, 55% Wärme – sollen bis 2035 auf 29% Energieverbrauch von heute reduziert werden – und das zu 100% erneuerbar und regional.
„Was dem einzelnen nicht möglich ist, schaffen viele“ (Raiffeisen): Innerhalb einer Gemeinde ist ein Interessenausgleich zwischen Pro’s und Contra’s kaum erreichbar, innerhalb einer Region schon. Bei der Gründungsversammlung der Genossenschaft 2011 waren 120 Mitglieder erschienen, darunter die Bürgermeister der Gemeinden, die Chefs örtlicher Unternehmen, der örtlichen Genossenschaftsbank usw.; heute hat die EGF rd. 250 Genossen mit knapp 1.200 Einlagen á 200€. Zusammen mit sog. Nachrangdarlehen (mit >5% verzinste Darlehen der Genossen) und dadurch möglichen Genossenschafts-Bank-Darlehen lassen sich ansehnliche EE-Projekte realisieren: Photovoltaik-Anlagen auf einem Rathaus und zwei Kindergärten sowie auf einem großen Carport/einer Gewerbe-Dachanlage mit zusammen knapp ½ Mio. Euro! Signal: Auch größere Projekte sind möglich und wirtschaftlich (!) – die Rendite liegt bei >5% –, demnächst auch im Wind-Bereich. Die Geschäftsbereiche greifen aber weiter: LED-Lampen (Renner!), E-Fahrräder und -Roller (bislang Flop), Stromhandel (auszubauen).
Präsentation Gerd Mulert: Klicken Sie hier
Eine Bürgerstiftung ist keine Genossenschaft: Ihre Aufgabe ist in erster Linie, Bürger-Geld einzusammeln, um mit dessen Ertrag, also Zinsen, Projekte zu finanzieren. Das tut die Bürgerstiftung für Erneuerbare Energien und Energiesparen „Energiewende Oberland“, wie ihr (ebenfalls ehrenamtlicher) Vorstand Ingo Martin in seinem Vortrag “Zukunft stiften!“ erläuterte: Mit 86 Mitgliedern wurde die Stiftung 2005 gegründet; aktuell sind es 233 Mitglieder, Privatpersonen, Unternehmen, Organisationen. Sowie Gebietskörperschaften wie die Landkreise Bad Tölz-Wolratshausen, Miesbach und Weilheim-Schongau. In jedem Fall hat es einen positiven Beschluss der zuständigen Gremien gegeben, samt vorauslaufender öffentlicher Diskussion; das allein gereicht der Verbreiterung der Energiewende: „Die Landkreise im Bayerischen Oberland streben an, bis 2035 durch Energieeinsparungen sowie den erhöhten und alleinigen Einsatz von regenerativen Energien auf dem Energiesektor autark zu werden“. Die Ziele in der Region Vor-Allgäu sind also vergleichbar ehrgeizig wie im Fünfseenland, sehr eindrucksvoll die Vortragsfolie 8!
Der regionale Lösungsansatz: Um von den fossilen Energieträgern unabhängig zu werden, müssen ganzheitliche, integrierte Ansätze entwickelt und umgesetzt werden. Die Umsetzung erfolgt auf kommunaler Ebene, d.h. dass auf die einzelnen Gemeinden und damit die Bürger/Innen eine (jeweils andere) besondere Herausforderung zukommt. Aufgrund des Umfangs ist eine interkommunale Kooperation und Vernetzung dringend erforderlich. Zur Steigerung der regionalen Wertschöpfung und der Erhöhung der Akzeptanz müssen die Maßnahmen in Form von Bürgerkraftwerken umgesetzt werden. Hinterlegt ist das mit konkreten Ansätzen über die Nutzung von Wasser, Wind, Solar, Biomasse und Geothermie. Probleme: Diskontinuierliche Stromerzeugung, andersartig erforderliche Netze und fehlende Speicher (Vorschlag hier: Erzeugung durch EE-Methan und Nutzung des deutschen Erdgas-Netzes als Speicher!).
PräsentationIngo Martin: Klicken Sie hier
Die Diskussion der 65 TeilnehmerInnen war konzentriert: Selbstverständlich kehrt mit genossenschaftlicher Organisation automatisch kein „Windkraft-Friede“ ein, die Gegenargumente und -initiativen sind teilweise heftig. „Ausgerechnet in Berg am Starnberger See – das verbietet doch die Bayerische Verfassung mit ihrem Gebot der Erhaltung der Landschaft!“. „Kulturlandschaft bedeutet von Menschenhand geänderte Landschaft“. „Vor zweihundert Jahren wurden in Holland Windmühlen gebaut – heute bestaunen wir die Bilder in Museen und fahren dorthin in den Urlaub, weil die Windmühlen so schön sind“. Wer sich gegen die „Verspargelung“ der Landschaft durch Windräder aufregt, muss beantworten, warum Photovoltaik-Flächen auf jedem Bauernhof-Dach im idyllischen Oberbayern „schöner“ sind. Oder Atomkraftwerke im Isartal… Unsere energiehungrige Gesellschaft wird sich auch über Gestaltungsmöglichkeiten Erneuerbarer Energien verständigen.
Aber weitgehend Einigkeit bestand darin, dass die Energiewende „von unten“ – dezentral, nicht in den Großstädten und Einzelgemeinden, sondern in Regionen – gestaltet werden muss und längst gestaltet wird. Und zwar von Kommunen (und ihren Energiewerken) einerseits – z.T. mit regionalen Versorgern wie in Oberbayern mit den Stadtwerken München GmbH (SWM) – und eigenständigen regionalen Initiativen von Privatpersonen, Handwerkern, Landwirten und Bürger-Gemeinschaften. Das Geschäftsmodell der großen Energieversorger jedenfalls ist völlig out.
Als Organisator der Veranstaltungsreihe „Mutbürger für Energiewende!“ erlaube ich mir im Rückblick folgende Punkte zu betonen:
- Bürger-Genossenschaft sind demokratisch: „Eine Stimme pro Kopf“, nicht „eine Stimme pro Anteil“; niemand kann sich Mehrheiten „kaufen“, alle Genossen = Mitglieder sind gleichberechtigt. Eine Genossenschaft ist das ideale Instrument, Interessenausgleiche zu finden. Als Genosse, also als Teilhaber an „meiner“ Energie-Gemeinschaft, werde ich weniger heftig gegen eine Windkraftanlage in meiner Nähe rebellieren als gegen einen anonymen Investor mit gleichem Ansinnen – zum einen werde ich mit meinen Bedenken eher gehört (und die Anlage anschließend 500m versetzt), zum anderen habe ich einen (finanziellen) Vorteil davon, nicht nur die Nachteile.
- Genossenschaften sind risikosicher: Zum einen wegen des eigenen Sicherungsverbandes genossenschaftlicher Organisationen (die Energie-Genossenschaften sollten sich anschließen oder eigene Sicherheitsverbände gründen). Zum anderen hafte ich als Genosse nur mit meinem Anteil von z.B. 200€, wenn’s mal wirklich schief ginge. Drittens: Genossenschaften sind ihren Genossen – d.h. Nachbarn, Bekannten, Freunden, Mitgliedern – verpflichtet, nicht gewinnmaximierenden Aktionären; schon von daher werden sie nicht in risikoreiche (Geld-) Geschäfte einsteigen; die Bankenkrise jedenfalls ist definitiv keine Krise der Genossenschaftsorganisationen