in Kooperation mit  

Mittwoch 23. Mai 2018

Referentin: Prof. Dr. Miranda A. Schreurs, Lehrstuhl für Umwelt- und Klimapolitik, Hochschule für Politik an der TU München;
Sachverständigenrat für Umweltfragen, ehem. Mitglied; “Nationales Begleitgremium” zur Endlager-Suche, d.h. zur Standortauswahl eines Lagers für hoch radioaktive Abfallstoffe; Vorsitzende (zusammen mit Prof. Dr. Klaus Töpfer), von Bundestag und Bundesrat gewähltes Mitglied

Ganz bestimmt niemand möchte ein Endlager für atomare Abfälle vor seiner Haustür – „not in my backyard“! Die Suche nach einem Endlagerstandort für atomare Abfälle ist wirklich ein "wicked problem"; ein Problem, das sich durch hohe Komplexitätsgrade und Unsicherheiten auszeichnet. Zusammen mit der Tatsache, dass bestehende Zwischenlager-Anlagen für radioaktive Abfälle nur noch für einige Jahrzehnte genehmigt und zugelassen sind, bedeutet das, dass dringend tragbare Lösungen für das Atommüllproblem gefunden werden müssen.

Bis inkl. 2016 sind in Deutschland rund 15.000 Tonnen Schwermetall (Uran und Plutonium) in Form abgebrannter (hoch- und mittelradioaktiver) Brennelemente aus Leistungsreaktoren angefallen. Hierin enthalten sind Brennelemente aus noch in Betrieb befindlichen und aus abgeschalteten und teilweise stillgelegten Kernkraftwerken; das Aufkommen an radioaktiven Abfällen steigt durch den Rückbau der Kernkraftwerke stark an. Die Bundesrepublik Deutschland hat 43% davon (rd. 6.500t) zur Aufarbeitung nach Frankreich und Großbritannien vergeben.
Fachleute erwarten bis zum Jahr 2080 rund 10.500 Tonnen hochradioaktiver Abfälle aus Brennelementen. Das später in einem Endlager einzulagernde Volumen ist abhängig vom Behälterkonzept, welches an das Endlagergestein eines zukünftigen Endlagerstandorts angepasst werden muss. Berechnungen der Vergangenheit gingen von einem Volumen von rund 27.000 Kubikmetern hochradioaktiver Abfälle aus. Darüber hinaus wird dann mit rund 300.000 Kubikmetern schwach- und mittelradioaktive Abfälle geplant (heute bereits 120.000 qbm).
Quelle: BGE

„Wir“ in Deutschland, wir müssen das höchst unangenehme Problem lösen, gesamtgesellschaftlich; auch wenn heute noch niemand weiß, wie. Das haben „wir“ uns in der Vergangenheit selbst eingebrockt; auch gesamtgesellschaftlich.
Und ganz aktuell: Heute, 23.05.2018, hat das Bundeskabinett den Entwurf des neuen Atomgesetzes mit weiteren Strommengenübertragungen auf AKW-Betreiber beschlossen; das bedeutet ein Plus von 300 Tonnen hochradioaktiven Atomabfalls zusätzlich, deren Entsorgung völlig ungesichert sind. Der von „uns“ gewählte Gesetzgeber verschärft also das Endlager-Problem aufs Neue – und verheimlicht diesen „Nebeneffekt“.

Die Suche nach einem Endlager für hochradioaktive Abfälle begann vor mehr als 50 Jahren, aber der ganze Prozess war falsch angelegt: Top-down-Entscheidungen ohne Bürger-Partizipation führten zu hohem Widerstand gegen die ausgewählten Standorte. Die Atommüllpolitik war geprägt von gesellschaftlichen Konflikten, Protesten gegen AKWs und Atommülllager, Blockaden von Castor-Transporten... Wer erinnert sich nicht an die bürgerkriegsähnlichen Zustände um Wackerdorf & Co?

Das führte zu einer Schwächung des Vertrauens in die Politik der Bundesregierung in Bezug auf Fragen der Atommüll-Entsorgung. Dieses mangelnde Vertrauen wurde durch Probleme deutlich verstärkt, wie sie inzwischen in bestehenden Lagerstätten wie der Schachtanlage Asse II oder im Endlager für radioaktive Abfälle Morsleben aufgetreten sind (zB Wassereinbrüche in Kavernen, wie sie von Experten als ausgeschlossen bezeichnet wurden). Keineswegs nur bei den als solche herabqualifizierten „Berufsrevoluzzern“, sondern in breiten Bevölkerungskreisen ist jegliches Vertrauen in die generelle Lösbarkeit der atomaren Endlagerung und speziell in das ernsthafte Bestreben der Verantwortlichen nach einvernehmlicher Klärung zerstört.
Die Nuklearkatastrophe in Fukushima, Japan, am 11. März 2011 löste in Deutschland die zweite Entscheidung für einen „Atomausstieg“ aus; der Ausstieg aus dem Betrieb von Kernkraftanlagen soll bis 2022 abgeschlossen sein. Zusammen mit der Entscheidung für eine beschleunigte Stilllegung von Kernkraftwerken hat der Bundestag 2011 beschlossen, einen Neuanfang bei der Suche nach einem Endlager zu unternehmen. Dies hat – auf Basis des „Standortauswahl“-Gesetzes von Juli 2013 – zur Bildung neuer institutioneller Strukturen und Entscheidungsprozesse geführt:
Die „Kommission Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe“ mit ihren 33 Mitgliedern hat ihre Tätigkeit mit der Übergabe und Vorstellung des Abschlussberichts Anfang Juli 2016 beendet. Seine 700 Seiten sind veröffentlicht. (Zusammensetzung, Arbeit, Abschlussbericht: https://www.bundestag.de/endlager-archiv/)
Die neu entstandene „Bundesgesellschaft für Endlagerung“ (BGE) hat die Aufgabe, das Standortauswahlverfahren für ein Endlager insbesondere für wärmeentwickelnde radioaktive Abfälle umzusetzen. Dies beinhaltet das Identifizieren von Orten und Techniken, die für eine Endlagerung geeignet sein könnten. (Infos über derzeitige (Zwischen-) Standorte, Abfallmengen und -arten, Stand der Standortsuche und Tätigkeiten des BGE: https://www.bge.de/)
Das reorganisierte „Bundesamt für kerntechnische Entsorgungssicherheit“ (BfE) ist die Regulierungs- und Aufsichtsbehörde des Bundes für die Beseitigung von radioaktiven Abfällen; zu seinen Aufgaben gehört auch die Öffentlichkeitsarbeit. (Film, Broschüren, laufende Infos: https://www.bfe.bund.de/DE/home/home_node.html)
Das neugeschaffene sog. „Nationale Begleitgremium“ (NBG) wurde gegründet, um das öffentliche Vertrauen in den Such-Prozess wiederherzustellen, indem sichergestellt werden soll, dass die Entscheidungsprozesse transparent und für die Öffentlichkeit zugänglich sind. (Jahresbericht 2017 und laufende Infos: http://www.nationales-begleitgremium.de/DE/Home/home_node.html) .
Wie ist der aktuelle Stand der Entwicklung der Endlagersuche? Was wurde bisher erreicht und was sind die nächsten Schritte in diesem technischen und in diesem Partizipations-Prozess? Wird es möglich sein, die öffentliche Akzeptanz für ein Endlager für hoch radioaktive Abfallstoffe zurück zu gewinnen? Auf diese Fragen ist Frau Prof. Dr. Miranda A. Schreurs in Vortrag und Diskussion intensiv eingegangen. Sie ist u.a. Inhaberin des Lehrstuhl für Umwelt- und Klimapolitik, Hochschule für Politik an der TU München; sie war Mitglied im Sachverständigenrat für Umweltfragen; und sie ist – besonders deshalb wurde sie eingeladen – zusammen mit Prof. Dr. Klaus Töpfer Vorsitzende eben dieses “Nationalen Begleitgremiums” zur Endlager-Suche.

Ihren Vortrag finden Sie hier.

Aus eigenem Interesse und Engagement war auch Bettina Gaebel aus Ebenhausen dabei und hat mit-vorgetragen und -diskutiert. Sie wurde als eine der drei – nicht gezielt “fachlich” oder “politisch” vorbestimmten – Bürgerinnen und Bürger im “Nationalen Begleitgremium” unter 70.000 “Zufallspersonen” aus- und dann vom Bundestag gewählt. Ihre Schwerpunkttätigkeit beim NBG liegt in der Kommunikation mit Bürger*Innen in Foren, Bürgertreffs, bei Besichtigungen vor Ort usw.   

Zu den harten facts der Endlagersuche gehören:
-    Bei der Suche nach einem “End-Standort” wird  keineswegs von einer sog. “weißen Karte” technisch/politisch unbelasteter Standorte ausgegangen (siehe Folie 18).
-    Niemand in Deutschland hat bislang eine Lösung der sog. Endlagerfrage hinsichtlich Standort, Gesteinsart (Salz, Granit…), politischem Prozess oder Technik.
-    Überwiegend wird von einem Standort in Deutschland für hochradioaktiven Abfall (und mehreren ?) für weniger aktiven Nuklearabfall ausgegangen; das bedeutet, dass die bisherigen vielfältigen Zwischenlager aufgelassen warden müssen.
-    Bis 2025 sollen durch Experten – unter Mitwirkung des NBG – fünf technisch/politisch… geeignete Standorte zur abschließenden Begutachtung durch das BGE ausgewählt werden; das BfE soll dann hieraus dem Deutschen Bundestag dann zwei Standorte zur Letztentscheidung eines Atomaren Endlagers vorschlagen.
-    Ein Export deutscher nuklearer Abfälle, in welches Land auch immer, gilt derzeit als ausgeschlossen (bis auf atomare Abfälle aus Forschungsanlagen wir zB in Garching!!); zur Aufarbeitung “ausgelagerte” Nuklearabfälle müssen nach Deutschland rück-imüortiert warden.
-    Die Frage nach einer endgültigen Lösung (die dann >1 Million Jahre technisch/politisch/sozial stabil bleiben müsste (??)) oder alternativ einer befristeten oder auch “rückholbaren” Variante ist eine der intensiv diskutierten; der Trend geht zu “rückholbar”.

In der Diskussion wurde schnell deutlich, dass – neben Fragen der Gefährlichkeit des atomaren Abfalls und der „Verteilungsgerechtigkeit“ (warum nicht jedem Einwohner 1/10 Gramm Abfall übergeben? Warum Endlagerung nicht denen und dort, wo zuvor von Atomkraft profitiert wurde?) – es im Kern um zwei, keineswegs „technische“  Probleme geht:
-    Wer entscheidet hier eigentlich: „Interessenunabhängige“ Experten? Das – „lobbygesteuerte“ – Parlament? Die Bürger (zB in Volksentscheiden)?
Entscheiden Bürger nachhaltiger als Politiker?
-    (Wie) lässt sich das verlorengegangene Vertrauen in Entscheidungsprozesse von grundsätzlicher gesamtgesellschaftlicher Bedeutung wieder herstellen bis hin zu einem „Yes in my backyard“?  

Angesichts der Tatsache, dass im derzeitigen Suchprozess unter „Partizipation der Bevölkerung“ nicht „Mitbestimmung“ oder „Mitgestaltung“ verstanden wird, sondern weitgehend nur Information und Anhörung;
angesichts der Tatsache, dass bis auf drei (!) Einzelpersonen im Nationalen Begleitgremium nur Verbände, kaum aber die Zivilgesellschaft insgesamt und insbesondere nicht die Betroffenen „mitwirken“ dürfen;
angesichts der Tatsache, dass die rechtlichen Klagemöglichkeiten für Verbände und Betroffene durch das Standortauswahlgesetz – und damit die Entscheidungsüberprüfung durch unabhängige „vierte Instanzen“ bis zum Bundesverfassungsgericht – massiv beschränkt wurden
wurde in der Diskussion füglich bestritten, dass es zu einer baldigen und – im wahrsten Sinne des Wortes – „friedlichen“ Lösung des „Jahrtausendproblems Endlagerung“ kommen wird.

Diese Vortrags- und Diskussionsveranstaltung war ein eher besorgniserregender Abend zum Nachdenken über gesellschaftliche Vertrauensbildung und den Zustand unserer Demokratie.

Dr. Helmut Paschlau

Quelle Foto

Zum Weiterlesen:

Artikel "Kommission Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe": Klicken Sie bitte hier.

Artikel des nationalen Begleitgremiums: Klicken Sie bitte hier.

Artikel des Bundesamts für kernstechnische Entsorgungssicherheit: Klicken Sie bitte hier.