gefördert durch IKEA-Stiftung, Deutsche Bundesstiftung Umwelt, Selbach-Umwelt-Stiftung, Manfred-Wierichs-Stiftung
in Kooperation mit Landeshauptstadt München, Referat für Gesundheit und Umwelt

am Donnerstag, 22. November 2012, 19:00 Uhr, Schweisfurth-Stiftung, Südliches Schlossrondell 1, München

Referenten:   

  • Prof. Dr. Dr. Johannes Wallacher, Hochschule für Philosophie, München
    „Energiewende: Was ist Glücklichsein?“
  • Roland Zieschank, FU Berlin, Forschungszentrum für Umweltpolitik
    „Illusionärer Wohlstand: Schlussfolgerungen aus dem Nationalen Wohlfahrtsindex“

Die Formel „Energie = Wohlstand = Glück“ gilt nicht mehr. Immer mehr vom „mehr“ geht schief, zeigte schon vor 40 Jahren der Report des Club of Rome „Grenzen des Wachstums“ und jetzt der Folgereport „2052“. „Was ist  „Glücklichsein“, was „Wohlstand“ in Zeiten globaler Veränderungen, heftiger Wirtschaftskrisen und menschengemachtem Klimawandel, für uns und die anderen, generationenübergreifend, weltweit?“, fragte Dr. Helmut Paschlau, Vorstand er Umwelt-Akademie, zu Beginn des Abends.

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Nach einem Ölunfall auf der Autobahn erhöht sich unser aller Wohlstand – sagt zumindest die Messung des Bruttoinlandsprodukts: Zwar ist die Umwelt verseucht, aber die Summe der Dienstleistungen für deren Reparaturversuche schaffen Arbeitsplätze, Umsatz, wirtschaftliches Wachstum. Verantwortungsvoller wäre eine Messung unseres Wohlergehens im intakten Umfeld. Die Untersuchungen darüber, was uns im westlichen Europa zufrieden, gar glücklich, macht, zeigen: Wichtig sind uns Sicherheit, Zukunftsaussichten, Bildung, Entwicklungsmöglichkeiten. Bhutan, aber auch Kanada und die USA, haben die „Suche nach Glück“ in ihre Verfassungen aufgenommen. Von hohem Energieverbrauch steht da nichts.

International wird die Kritik lauter am vorherrschenden Wachstums- und Wohlstandsmodell, das nicht zuletzt auf der ständigen und billigen Verfügbarkeit fossiler und nuklearer Energie beruht – und auf der Nichtberücksichtigung der ökologischen, der „externen“, nicht in unseren westlichen betriebs- und volkswirtschaftlichen Kostenrechnungen berücksichtigten Belastungen. Diese Kosten unseres heutigen Verhaltens zahlen andere; unsere Enkel, die Menschen in Bangladesh.

Die traditionelle Messung von Wohlstand über das Bruttoinlandsprodukt (BIP) zeigt bei näherem Hinsehen erstaunliche Defizite, es suggeriert einen „illusionären Wohlstand“. Der Bundestag hat aus seiner Mitte eine „Enquetekommission Wohlstandsmessung“ benannt, kommt aber nicht zu „brauchbaren“ Ergebnissen; zu weit auseinander liegen die Meinungen darüber, was warum für uns wichtig, was „gesteuert“ werden soll.

Sogar wirtschaftsnahe Organisationen wie die OECD haben reagiert: Anstelle des BIP sollen nun Zufriedenheit und Glück der Bürger das Orientierungsziel für die Politik darstellen. Diese Wendung ist jedoch nicht unumstritten. Bestehen hier nicht Konflikte zu einer Orientierung an Wohlfahrt und Nachhaltigkeit? Beide Leitbilder beinhalten Folgen für den Umgang mit Energie – und sie hängen beide gleichzeitig von Energie als einem wichtigen Motor des Fortschritts ab.

Mit der 14. Veranstaltung im Rahmen unserer Serie „Mutbürger für Energiewende!“ wollten wir dieses Spannungsverhältnis illustrieren und die Potenziale der Energiewende aus wirklich ungewöhnlicher Perspektive beleuchten. Also: Wonach streben wir? Ist unsere Lebens-Verhaltensweise nachhaltig? Warum wird „wirtschaftliches Wachstum“ als unverzichtbar suggeriert?

Der erste Experte, Prof. Dr. Dr. Johannes Wallacher, ist Professor für Sozialwissenschaften und Wirtschaftsethik und Rektor der Hochschule für Philosophie in München. Er forscht und publiziert u.a. zum Thema „Glück“. Glück ist der 6er im Lotto, aber „Was ist Glücklichsein?“. Lesenswert ist sein neuestes Buch: „Mehrwert Glück – Plädoyer für menschengerechtes Wirtschaften“.
Der zweite Experte ist zusammen mit Prof. Diefenbacher der „Mit-Erfinder“ des „Nationalen Wohlfahrtsindexes“: Roland Zieschank ist Projektleiter am Forschungszentrum für Umweltpolitik der Freien Universität Berlin. Auch sein neuestes Buch (zusammen mit Diefenbacher): „Woran sich Wohlstand wirklich messen lässt – Alternativen zum Bruttoinlandsprodukt“ ist empfehlenswert.

Beide Referenten zeigen übereinstimmende Folien: Zunächst scheint alles klar: Die Menschen der reichen Länder Dänemark, Schweiz, Norwegen, Finnland sind besonders zufrieden, die der armen – Georgien, Bulgarien, Uganda – überhaupt nicht; doch Nikaragua zeigt mit 2.500 US$ Prokopfeinkommen den gleich hohen „Zufriedenheitsgrad“ auf wie Singapur mit 42.000 US$.
Das Bruttoinlandsprodukt – also die Summe aller Güter und Dienstleistungen – steigt deutlich, das Zufriedenheitsgefühl der Menschen dagegen schwankt stark, stagniert oder fällt leicht. Das wurde gemessen etwa in den USA, in Bhuttan, in China (!) (Zieschank, Folie 6). Drastisch: Stieg das Einkommen pro Kopf in den USA von 1957 von <10.000 $ bis 2006 deutlich auf rd. 28.000 $, so sank der Bevölkerungsanteil der „sehr glücklichen“ Menschen in gleichem Zeitraum von rund 35% auf 30% (Zieschank, Folie 12).
Ergebnis: Oberhalb eines Jahreseinkommens von 10.000€ macht im Westen „mehr Geld“ nicht glücklicher.

 

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Der erste Porsche Cayenne in der Straße ist das Problem, sagt Wallacher: Nicht das absolute „Gutgehen“ ist entscheidend, sondern das relative: Jetzt wollen wir auch einen Cayenne. Das kann in Laborexperimenten oder in Feldstudien zur Bewirtschaftung von Allgemeingütern gemessen werden. „Glück“ wird bestimmt von persönlichen Faktoren (Charakter, Ansprüche), sozio-demographischen (Alter, Bindungen, Religion, Gesundheit), ökonomischen (Einkommen, Arbeitsplatzsicherheit, Arbeitszufriedenheit ) und institutionellen Faktoren (Beteiligungsmöglichkeit an Prozessen der Meinungs- und Willensbildung).

Wallachers Metapher: „Jedermann ist seines Glückes Schmied; aber gesellschaftlich müssen wir dafür sorgen, dass jeder eine Schmiede bekommt; und wir müssen vereinbaren, wie sie ausgestattet sein soll“. „Glück“ als individuelles Lebensgefühl, aber auch gesellschaftlicher Aufgabe, für eine grundlegende Chance auf ein „gelingendes Leben“ zu sorgen! Sein Plädoyer: Wohlstand neu denken, vom quantitativen zum qualitativen Wohlstand: Lebensqualität, Nachhaltigkeit, Zeit-Wohlstand, für eine neue Balance von Konkurrenz und Kooperation.

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Seit 1951 gab es immer mal wieder kleinere Einbrüche im Zuwachs des Bruttoinlandsprodukt (BIP), erstmalig 2009 dramatisch mit -4,7%; doch der Trend seit 1951 ist eindeutig: Die jährlichen Wirtschaftswachstums-Zuwächse nehmen sukzessive ab, zeigt Zieschank (Folie 3). Die auf die nächsten Wahlen schielende schwarz-gelbe Koalition schriebt in ihrem Koalitionsvertrag: „In der jetzigen Situation gilt es, den Einbruch des wirtschaftlichen Wachstums so schnell wie möglich zu überwinden und zu einem neuen, stabilen und dynamischen Aufschwung zu kommen“. Ganz das alte, ausschließlich am BIP orientierte, kurzatmige Regierungshandeln; die Wachstumsraten des BIP bestimmen die politische Strategie.
Doch damit wird falsch gesteuert: Das European Economic and Social Commitee 2008: „Das BIP ist ein wichtiger Indikator des ökonomischen Wachstums, doch als ein Instrument der Politik-Bestimmung ist es inadäquat, die Probleme des Wandels im 21. Jahrhundert zu lösen“. Die Weltbank denkt in gleiche Richtung. Eine Ergänzung des BIP ist erforderlich, sagt Zieschank. Was im BIP gemessen wird, ist Konvention, was im Neuen Wohlfahrtsindex (NWI) gemessen wird auch.

Präsentation Zieschank: Bitte haben Sie noch etwas Geduld - die Präsentation wird erst in Kürze freigegeben

Der Wert der Haus- und der ehrenamtlichen Arbeit müssten zum BIP addiert werden, ebenso wie die Aufwendungen für Bildung und Gesundheit; weil sie Wohlfahrt-steigerndwirken. Weil Wohlfahrt-mindernd hingegen sind Kosten von Verkehrsunfällen, Kriminalität, Drogenmissbrauch und: Gesellschaftliche Ausgaben zur Kompensation von Umweltbelastungen, Schäden von Belastungen von Wasser, Luft, Lärm und Klima abgezogen (Folie 14).
Ergebnis: Während das BIP in Deutschland zwischen 1991 und 2007 relativ stetig stieg, sank der neu bemessene NWI ab 1999 stetig und zwar bis herab zum Niveau von 1993. In „Geld“ bemessen wurden wir Deutsche durchschnittlich reicher, in „Wohlfahrt“ gemessen ärmer.

Der Einbruch des Wirtschaftswachstums nach BIP 2009 zeigt es deutlich: Der NWI steigt, weil weniger durch Wirtschaftswachstum erzeugte Umweltschäden kompensiert werden mussten!
Diefenbacher und Zieschank fordern eine wirtschaftliche Transformation, eine Umorientierung von materialintensiver Produktion in Richtung qualitativer Entwicklung. Die Wohlfahrtsgewinne durch Erneuerbare Energien und Ressourceneffizienzsteigerungen seien eindeutig: „Grüne“ Produkte in „grünen“ Branchen, aber auch im Maschinenbau als „Querschnittsbranche“ würden völlig unterschätzt – deutsche energiearme Motoren unterschiedlichster Einsatzgebiete werden in allen Ländern der Welt verlangt; neue Arbeitsplätze in Millionen-Höhe, weniger Belastung der Ökosysteme und vermiedene Umweltschäden – und damit weniger Kompensationslasten; sinkende Transferzahlungen an Ölexportländer; regionale Wertschöpfung; tendenziell sinkende Erzeugungskosten durch betriebskostenfreie Erneuerbare Energien. Der Eindruck: Das Umweltministerium macht die bessere Wirtschaftspolitik als die an alten Industrien und Lobby-Bereichen hängenden Wirtschaftsministerialen.

„Mit steigender Produktivität und mit der höheren Effizienz der menschlichen Arbeit werden wir einmal in eine Phase der Entwicklung kommen, in der wir uns fragen müssen, was denn eigentlich kostbarer oder wertvoller ist: Noch mehr zu arbeiten oder ein bequemeres, schöneres und freieres Leben zu führen, dabei vielleicht bewusst auf manchen güterwirtschaftlichen Genuss verzichten zu wollen.“
Jetzt raten Sie, wer das gesagt hat: Kann nur ein realitätsferner Utopist gewesen sein?!
Es war Ludwig Erhard in seinem Buch „Wohlstand für alle“, 1957.

Die Diskussion zeigte: Wallacher setzt auf zu schaffende gesellschaftliche Mehrheiten, auf Wissen und Bewusstseins-Bildung, auf demokratische Wahlen. Diskussionsteilnehmer setzen auf den (zu früh abgebrochenen) „Agenda-21-Prozeß“ der Willensbildung von unten, oder Bürgerbefragung/Bürgerentscheid auch auf Bundesebene. Zieschank schaut ins Grundgesetz: Danach ist die Bundesregierung verpflichtet, die „natürlichen Grundlagen“ zu erhalten; wie wäre es, schnellstmöglich alle steuerlichen Subventionen zu streichen, die nachweislich ökologische Schäden erzeugen?! „Das brächte übrigens 7,5 Milliarden € pro Jahr mehr in die Haushaltskassen“, schließt Dr. Helmut Paschlau  die Diskussion.